Long Covid: Plötzlich gesichtsblind

Für viele fühlt sich die Corona Pandemie ganz weit weg an. Die aktuellen Fallzahlen und Updates zu neuen Varianten schaffen es kaum mehr in die Nachrichten.

Dabei ist zumindest Long Covid (damit sind die Langzeitfolgen einer Coronainfektion gemeint) weiterhin ein Phänomen, das in Deutschland geschätzt mindestens eine Million Menschen betrifft.

Unter anderem werden Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Geschmacks- und Geruchsstörungen, kognitive Beeinträchtigungen bis hin zu Depression und Angstzuständen als Long Covid Symptome genannt.

Daneben gibt es weitere seltene Auswirkungen, die bisher kaum bekannt sind: In diesem Jahr wurde die erste Studie zu einem Long Covid Fall veröffentlicht, der zu Gesichtsblindheit (Prosopagnosie) geführt hat. Gesichtsblindheit ist in der breiten Gesellschaft kaum bekannt. Deshalb ist das Problem für eine Person, die plötzlich gesichtsblind wird, natürlich sehr schwierig zu beschreiben. Von einer Diagnose ganz zu schweigen. Immerhin wurde über diesen Fall bereits in einigen Medien berichtet, denn jedes bisschen Aufmerksamkeit zählt.

Long Covid Symptom: Irgendwas stimmte nicht mit Gesichtern

Bei der Frau hinter dem untersuchten Fall handelt es sich um Annie, 28 Jahre und aus den USA. Zur Zeit ihrer Erkrankung arbeitete sie als Kundenberaterin und in Teilzeit als Portraitmalerin.

Sie hat sich in der ersten Corona-Welle im März 2020 angesteckt.

Die Symptome verschwanden erst wieder, doch zwei Monate später traten sie erneut auf. Außerdem bemerkte sie bis dahin unbekannte Schwierigkeiten, Gesichter wiederzuerkennen. Etwas stimmte nicht mit Gesichtern. Als sie sich mit ihrem Vater traf, konnte sie ihn visuell nicht mehr von ihrem Onkel unterscheiden: "Die Stimme meines Vaters kam aus dem Gesicht eines Fremden".

Ihre Tätigkeit als Portraitmalerin war nun ebenfalls von ihrer erworbenen Gesichtsblindheit betroffen. Früher konnte sie ein Gesicht malen und musste nur alle 15-30 Minuten auf das Foto als Vorlage gucken. Jetzt muss sie beim Malen eines Gesichts dagegen ständig auf das Foto schauen. Gesichter sind "wie Wasser in ihrem Kopf".

Die Stimme ist für sie der wichtigste Faktor zur Identifizierung einer Person geworden.

Gesichtsblindheit war nicht die einzige Herausforderung

Doch die erworbene Prosopagnosie war nicht das einzige schwere Long Covid Symptom. Annie hatte zudem Probleme mit der Orientierung in bekannten Umgebungen. Den Weg vom Lebensmittelladen in der Nähe zum geparkten Auto zu finden, wurde zu einer großen Herausforderung. Um sich zu behelfen, markierte sie nun die Position ihres Autos auf Google Maps. Dadurch konnte sie sich nach dem Einkauf zum geparkten Auto navigieren.

Annie durchlief mehrere Tests an der Dartmouth Uni in New Hampshire. Als Marie-Luise Kieseler, die Hauptautorin der Studie, Annie zum ersten Mal traf, sagte sie ihr, dass sie die Gesichter ihrer Familie nicht mehr erkennen würde. In der Folge wurden einige Tests mit Annie durchgeführt (u. a. der Famous faces Test, der Doppelgänger Test und der Cambridge Face Memory Test, die hier auf unserer Webseite beschrieben sind).

Außerdem gab es eine interessante Umfrage mit 54 Personen, die an Long Covid erkrankt waren. Eine Mehrheit berichtete über Orientierungsprobleme und andere Phänomene. Schwierigkeiten ergaben sich bei diesen Aufgaben:

  • Farbwahrnehmung
  • Gegenstände in unübersichtlichen Umgebungen finden
  • Eigene Koffer am Flughafen erkennen
  • Charaktere im TV folgen
  • Telefonnummern merken
  • Lesen / Reden folgen und verstehen

Diese Verschlechterungen verteilen sich eher moderat über eine größere Anzahl von Studienteilnehmern. Eine so krasse Auswirkung auf die visueller Wahrnehmung wie bei Annie mit ihrer Gesichtsblindheit ist bislang selten. Es kann aber gut sein, dass mehr Fälle einfach deshalb nicht bekannt sind, weil Gesichtsblindheit allgemein sehr unbekannt ist. Sogar viele Ärzte wissen nicht davon, obwohl geschätzt wird, dass rund 2 % der Bevölkerung eine Form von Prosopagnosie haben.