Für Kinder stellt der Umgang mit Gesichtsblindheit (Prosopagnosie) oftmals eine besondere Herausforderung dar. Denn durch mangelnde Aufklärung wissen Kinder, Eltern und das soziale Umfeld häufig nichts über diese Wahrnehmungsschwäche.

Das fehlende Wissen über die Gesichtsblindheit führt dazu, dass gesichtsblinde Kinder allein gelassen werden. Sie verstehen überhaupt nicht, was mit ihnen los ist und warum manches Verhalten zu negativen Reaktionen führt. Das kann zu Unsicherheiten bis hin zu sozialen Ängsten führen.

Soziale Folgen von Gesichtsblindheit bei Kindern

Häufig wird sich über gesichtsblinde Kinder beschwert, weil sie nicht grüßen.
Wie Menschen so sind, wird das schnell negativ bewertet: Im besten Fall wird es als Schüchternheit angesehen (die als eine Folge tatsächlich auftreten bzw. verstärkt werden kann). Es kann darüber hinaus auch als Arroganz, Unfreundlichkeit, Desinteresse oder ganz allgemein als unsoziales Verhalten ausgelegt werden.
Das Kind fühlt sich stigmatisiert und kennt wahrscheinlich nicht einmal den Grund dafür.

Vermeidungsverhalten ist in diesem Fall nicht selten, beispielsweise:

  • Meiden bestimmter Orte, an denen bekannte Personen häufiger sind - aus Angst, diese nicht zu erkennen
  • Gehen von Umwegen, um Begegnungen zu vermeiden
  • Starker Rückzug und geringere Bereitschaft, draußen etwas zu unternehmen

Erste Hilfe für gesichtsblinde Kinder

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Bist du ein Elternteil eines Kindes, das möglicherweise an Prosopagnosie leidet oder eine Person aus dem sozialen Umfeld eines betroffenen Kindes?
Falls du kein Elternteil bist und dir auffällt, dass ein Kind gesichtsblind sein könnte, sprich bitte die Eltern auf deinen Verdacht an.

Vielleicht bist du als größeres Kind sogar selbst auf unsere Webseite gestoßen und findest bei uns hoffentlich hilfreiche Infos.
Wir geben einige Tipps, die beim Umgang mit der Gesichtsblindheit helfen können. Die Tipps sind nicht vollständig. Sie sollen als erste Hilfe den Einstieg in einen besseren Umgang mit der Prosopagnosie erleichtern und können selbstverständlich auch für gesichtsblinde Erwachsene nützlich sein.

Tipps zur Unterstützung von Kindern mit Prosopagnosie

  1. Sich über das Problem klar werden

    Informiere dich über Gesichtsblindheit - nicht nur bei uns, sondern auch auf anderen Webseiten. Es gibt einige Medienberichte und Videos zu dem Thema. Solltest du bei Facebook sein, kannst du dich der Prosopagnosie-Gruppe anschließen und dich mit Betroffenen austauschen. Nützliche Links (u. a. zur Facebook-Gruppe) findest du hier

    Mache dir mehrere Situationen bewusst, in denen dein Kind oder du selbst Schwierigkeiten aufgrund der Prosopagnosie hattest. Was war unangenehm? Das Problem anhand von 2 oder 3 Beispielen beschreiben zu können, hilft in der späteren Verständigung.

  2. Keine Panik

    Es ist nie zu spät: Die meisten Gesichtsblinden führen ein unabhängiges Leben und können auch später noch zu einem bewussten Umgang mit dieser Wahrnehmungsstörung finden. Es handelt sich nicht um eine Erkrankung, die bis zu einem bestimmten Lebensalter therapiert werden müsste. Im Gegenteil, es lässt sich in jedem Lebensalter etwas ändern.

    Wie gut ein Kind damit zurechtkommt, ist zudem sicher auch eine Typfrage. Erlerntes Verhalten in der Familie spielt außerdem mit rein sowie die Toleranz des sozialen Umfelds. In einem intoleranten Umfeld mit Tendenzen zum Mobbing ist das alles natürlich schwieriger und kann sehr fies sein (das gilt aber nicht nur bei Gesichtsblindheit, sondern ist ganz allgemein ein Problem).

    Dennoch dürfen die psychischen Auswirkungen nicht unterschätzt werden. Prosopagnosie macht das Leben schwerer und kann viel emotionalen Ballast bis hin zu Ängsten und Scham erzeugen. Je früher ein Kind (und das soziale Umfeld) über diese Veranlagung aufgeklärt ist, desto besser.

  3. Blickkontakt üben

    Fehlender Blickkontakt ist bei gesichtsblinden Kindern häufiger ein Grund für Missverständnisse (siehe auch: Gesichtsblindheit und Asperger Autismus). Wenn keine autistische Veranlagung im Spiel ist, lässt sich der Blickkontakt problemlos üben. Am besten geht das zu Beginn in der Familie und danach kann es außerhalb geübt werden.

    Wichtig: Der Blickkontakt sollte nicht zu dauerhaftem in die Augen starren führen, da das ebenfalls als unhöflich gilt. Hin und wieder sollte daher im Gespräch kurz weggeguckt werden. Aber keine Sorge - für die Feinheiten hilft Beobachtung bei anderen Personen. Kinder mit Prosopagnosie wissen diese Feinheiten nicht intuitiv, sondern müssen es erlernen. Der Blickkontakt lässt sich aber so weit üben, dass es in Fleisch und Blut übergeht.

  4. Im Wohnhaus und in der direkten Nachbarschaft alle grüßen

    Bekannte Personen auf der Straße zu erkennen und zu grüßen, ist und bleibt eine große Herausforderung. Eine Lösung für alle Situationen gibt es leider nicht.

    Sehr hilfreich ist es, wenn das betroffene Kind sich angewöhnt, im Wohnhaus und direkt am Eingang einfach alle mit einem kurzen “Hallo” zu grüßen. Dadurch ist es nicht mehr so wichtig, ob die Nachbarn erkannt werden oder nicht. Das vermindert Stress im Alltag.

    Gesichtsblinde Erwachsene haben sich dieses Verhalten in der Regel irgendwann von selbst angewöhnt. Kinder dagegen noch nicht und sollten deshalb angeleitet werden, alle zu grüßen.
    Sei geduldig: Für manche Kinder (auch ohne Gesichtsblindheit) ist es erst mal schwierig, alle zu grüßen und es braucht Zeit, das Verhalten einzuüben.

  5. Ersten Personen davon erzählen

    Erzähle ersten Personen im Umfeld des Kindes von der Gesichtsblindheit. So wird Missverständnissen vorgebeugt und das Kind hat weniger mit Stigmatisierungen zu kämpfen. Prosopagnosie ist noch sehr unbekannt. Deshalb kann es nützlich sein, im Gespräch auf eine Webseite oder einen Artikel zum Thema zu verweisen.

  6. Mit Fotos arbeiten

    Für gesichtsblinde Menschen ist es wichtig, sich andere Erkennungsmerkmale als das Gesicht zu merken.
    Hierfür kann sehr gut mit Fotos gearbeitet werden. Es bieten sich insbesondere Fotos aus der Kita, der Schule und vom größeren Familien- und Bekanntenkreis an.
    Alle Auffälligkeiten helfen: Wer trägt eine Brille? Wer trägt eine bestimmte Halskette? Wer ist besonders groß? Wer hat sehr kurzes oder sehr langes Haar und in welcher Farbe?

    Anhand der Fotos können die Merkmale in Ruhe durchgegangen und das Erkennen eingeübt werden. Das ist eine Erleichterung und kann Unsicherheit abbauen. Es muss aber im Hinterkopf behalten werden, dass Merkmale sich ändern können und nicht immer zuverlässig sind.

  7. Eingewöhnung in Kita und Grundschule

    • Erzieher oder Lehrerin informieren und vor dem Start kennenlernen

      Die Bezugsperson in Kita oder Grundschule sollte frühzeitig über die Prosopagnosie informiert werden. Es ist sehr hilfreich, wenn das Kind einen festen Ansprechpartner hat. Nach den ersten Tagen erkennt das Kind eine Lehrerin oder einen Erzieher am erwarteten Ort (d. h. in der Kita oder in der Nähe des Klassenraums) meistens wieder.

      An anderen Orten klappt das Erkennen jedoch gar nicht oder nur mit sehr großer Unsicherheit.

      Der Lehrer oder die Erzieherin sollte sich außerdem darüber im Klaren sein, dass andere Kinder nicht sofort wiedererkannt werden. Ein gesichtsblindes Kind braucht deutlich länger, bis es die anderen Kinder in der Gruppe am bekannten Ort wiedererkennt. Das klappt nach der Eingewöhnung in der Regel zwar ganz gut, kann aber mehrere Wochen oder Monate dauern.

    • Schule / Kita vor dem Start erkunden

    • Das Erkennen der anderen Kinder und des Personals an Kitas oder Schulen ist schon Herausforderung genug. Der Start wird für ein gesichtsblindes Kind erleichtert, indem das Gebäude schon vor dem Start bekannt ist.
      Dadurch weiß das Kind direkt am Anfang, wo es hinmuss. Eine Hürde ist genommen und das Kind kann sich auf den Kontakt mit den anderen konzentrieren.
      Zudem sind Orientierungsprobleme eine mögliche Begleiterscheinung von Prosopagnosie. Sollte das der Fall sein, ist ein Erkunden der Schule / der Kita vor dem Start umso wichtiger.

    • Kennenlernspiele

      Kennenlernspiele helfen, um die Stimmen der Kinder schneller zu lernen und mit den Namen der Kinder in Verbindung zu bringen. Die Stimme ist ein wichtiges Erkennungsmerkmale für Personen mit Prosopagnosie. Dadurch wird das Wiedererkennen der Kinder in der eigenen Gruppe / Klasse deutlich beschleunigt. Kennenlernspiele können außerdem dabei helfen, sich Merkmale der anderen Kinder einzuprägen.

    • Merkmale benennen

      Bezugspersonen in Kita und Schule können einem gesichtsblinden Kind in der Eingewöhnungszeit helfen, indem sie Merkmale benennen: “Bring das bitte zu Lina, mit dem Zopf und dem roten T-Shirt”.
      Manche Kinder werden schneller wiedererkannt werden, bei anderen dauert es sehr lange. Hier hilft nur Geduld. Deshalb sollten die Merkmale besonders in den ersten Wochen mehrmals wiederholt werden.

  8. Namen zuflüstern

    Schnelle Abhilfe schaffst du, indem du dein Kind darauf aufmerksam machst, wenn euch eine bekannte Person über den Weg läuft.
    Am besten machst du das auf möglichst natürliche Weise: “Ach, da vorne ist ja Leon an der Ampel”. Das Benennen bekannter Personen ist für alle Gesichtsblinden eine große Hilfe und besonders an Orten, an denen die andere Person nicht erwartet wird.
    Taucht eine bekannte Person an einem vertrauten Ort auf, an dem sie erwartet wird, ist das Benennen nicht unbedingt notwendig. Hier greifen erlernte Bewältigungsstrategien.

Weitere Infos für Angehörige von gesichtsblinden Kindern

Einige unserer Tipps orientieren sich an einem informativen PDF, das auf der Webseite prosopagnosie.de zur Verfügung steht. Zum PDF gelangst du hier.

Für weitere allgemeine Ideen zum Umgang mit Prosopagnosie sieh dir unsere gesammelten Bewältigungsstrategien im Alltag an.

Welche Erfahrungen hast du mit gesichtsblinden Kindern oder selbst in der Kindheit gemacht? Hast du weitere Ideen, wie Kindern mit Prosopagnosie geholfen werden kann? Schreib uns, wir ergänzen den Artikel gerne um nützliche Tipps. Wenn du deine persönlichen Erfahrungen teilen möchtest, steht unser Blog dafür zur Verfügung.