Hochzeit „ohne“ Braut


*Das Artikelbild stammt nicht von der beschriebenen Hochzeit (Pixabay / derleooo).

Die Autorin dieses Erfahrungsberichts möchte anonym bleiben.

Das Leben mit Prosopagnosie gleicht manchmal einer Tragikkomödie.

Tragisch, weil dadurch ungewollt andere Menschen gekränkt werden und man selbst wahlweise als arrogant, unhöflich, verschroben (oder auch alles zusammen) wahrgenommen wird.

Komisch, weil Gesichtsblindheit tatsächlich öfters zu den irrwitzigsten Situationen führt.

Als Betroffene möchte ich euch eine derartige Geschichte erzählen, die mir vor einigen Jahren passiert ist.

Zu dieser Zeit besuchte ich gerne Historische Märkte und Mittelalter-Events und hatte auch in meinem Freundeskreis einige Leute, die dort aktiv waren.

Ein engerer Freund von mir, der selbst eine Agentur für Historische Events führte, lud mich, meinen Mann und ein weiteres, mit uns befreundetes Paar ein — er heiratete, und das natürlich im historischen Ambiente und in entsprechender „Gewandung". Ein Teil der Feier würde Open Air stattfinden, auf einem großem Gelände, wo Gästebelustigungen wie Axtwerfen, Bogenschießen, Lagerfeuer und so weiter möglich waren.

Wir freuten uns sehr auf die Veranstaltung und kamen gut gelaunt zu viert nachmittags vor Ort an.

Wo ist denn nur die Braut?

Als wir die Festwiese betraten, lief uns auch gleich zur Begrüßung eine freundliche Magd entgegen und wir hielten höflich ein wenig Smalltalk. Wobei es mich irritierte, dass die Magd sich seltsam benahm und uns nicht weiter zum Brautpaar führte, das irgendwo in der Menge versteckt war. Wir vier wollten ja erst einmal unsere Gratulation und die Geschenke überbringen, bevor wir uns ins Getümmel stürzten. Ich hielt deshalb die ganze Zeit während der Plauderei über Ausschau nach unserem Freund und seiner Braut.

Irgendwann tauchte der Bräutigam im Edelmanngewand auch endlich auf, kam auf uns zu, nahm fröhlich die Magd in den Arm und küßte sie liebevoll.

Im ersten Moment waren wir alle sehr verdutzt, dann ging mir der berühmte Kronleuchter auf und ich hätte nichts gegen eine spontane Entführung durch Aliens oder ähnliches gehabt ...

Natürlich war die Magd die gesuchte Braut — der wir nicht gratuliert hatten, die Geschenke nicht überreicht hatten, von ihr aus gesehen so getan hatten, als würden wir nur auf unseren Freund warten und sie selbst sei eher nebensächlich.

Das Fatale war, dass weder mein Mann noch das andere Paar ihr jemals begegnet waren. Sie alle dachten selbstverständlich, ich würde die Braut kennen und die Vorstellung übernehmen.

Ich „kannte" sie auch — hatte sie ein paarmal bei historischen Events getroffen, in der prachtvollen Gewandung eines Edelfräuleins. Natürlich hatte ich auch erwartet, dass sie an ihrem Hochzeitstag in hochherrschaftlichem Outfit auftritt — eine Magd war das letzte, woran ich gedacht hätte.

Trotzdem hätte jeder Nicht-Gesichtsblinde sie ohne Mühe wiedererkannt.

Ich fühlte mich während des ganzen Festes beschämt

Ich war fassungslos, habe mich dann irgendwie „herausgewunden" ... ich weiß garnicht mehr genau, wie ... Wir haben zumindest alle sofort gratuliert und die Geschenke überreicht und der Tag verlief dann einigermaßen normal weiter.

Ich fühlte mich aber während des ganzen Festes unwohl und war auch tief beschämt über den Fauxpas, verunsichert und besorgt. Und natürlich waren meine Begleiter — mein Mann und das befreundete Paar — milde ausgedrückt auch nicht gerade begeistert über meine Unhöflichkeit und mein seltsames Verhalten. Denn an sich bin ich ja ein netter, umgänglicher Mensch ...

Es war mir damals aber garnicht möglich, mich zu erklären oder bei den Brautleuten den Irrtum aufzuklären. Weil ich selbst nicht wusste, wie das hatte passieren können. Zu dieser Zeit wusste ich weder, dass es so etwas wie Prosopagnosie gibt noch dass ich selbst davon betroffen bin. Mein scheinbar „fatal schlechtes" Gesichtsgedächtnis hatte ich zeitlebens unbewusst kompensiert und mich immer irgendwie „durchgemogelt". Und bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich eine so extreme Situation noch nicht bewusst erlebt. Vermutlich gab es aber auch vorher schon Ereignisse, bei denen ich unwissentlich andere Menschen gekränkt habe durch „Missachtung" ihrer Person.

Heute, wo ich von meiner Prosopagnosie weiß, fällt es mir trotzdem nicht immer leicht, mich in entsprechenden Situationen zu outen. Ich entscheide von Fall zu Fall, was und wieviel ich dazu erkläre, wie tief ich einsteige in das Thema. Solch extreme Missverständnisse wie bei der Hochzeit „ohne" Braut kann ich aber jetzt vermeiden, und das ist wirklich eine gute Sache.